Los 6073
"Zwerg als Philosoph" - Groteske aus Bronze, römisch, 1. Jhdt. n Chr.
Kunst und Antiquitäten - Antiken, Asiatika und Russische Kunst | O95kua | Onlineauktion | 391 Lose
Beschreibung
Statuette eines kleinwüchsigen Mannes. Stämmiger, muskulöser Körper mit verkürzt wirkenden Gliedmaßen und "Stiernacken" ohne deutlich ausgeprägtem Hals. Am Bauch leichter Fettansatz. Der Körper nur mit einem leichten Chiton bekleidet, der mit gekonntem Faltenwurf über die linke Schulter gelegt ist. Die Rechte angewinkelt erhoben im "Gestus des Deklamierens", die Linke nur leicht angewinkelt und nach unten gerichtet. Der "Gestus des Deklamierens" wird durch die verhaltene Dynamik des nach vorne gesetzten rechten Beins und des leicht nach rechts gedrehten Kopfes unterstrichen. Unter dem Chiton schaut die Spitze des Genitals hervor, das eine Öffnung hat, die in das Innere der Figur reicht. Die Frisur und die anatomischen Details des Gesichts, der Hände, der freien rechten Brust und anderer Körperteile präzise und lebensnah dargestellt. Die Augen in Silber eingelegt. Brustwarze und Lippen wohl in Kupfer, was durch die darüberliegende grüne Patina nicht mehr eindeutig zu erkennen ist. Ausgesprochen qualitätvolle Bronzefigur, vermutlich alexandrinischen Ursprungs, wo die Produktion von Grotesken im Hellenismus einen gewaltigen Aufschwung erlebte. Die Figur lebt unter anderem von der Spannung der eingenommenen, fast pathetisch anmutenden Haltung eines gebildeten, deklamierenden Redners oder Philosophen mit der im Kontrast zum Idealbild einer solchen Person stehenden Darstellung eines kleinwüchsigen Menschen, dessen überdimensioniertes Genital nur halb bedeckt ist und somit das "rednerische Pathos" ins Lächerliche zieht. In den Füßen befinden sich ebenfalls Öffnungen, die wohl mit der Öffnung des Genitals in Verbindung stehen. Tatsächlich könnte die Figur Bestandteil eines kleinen Hausbrunnens gewesen sein, was der Figur den Charakter eines antiken "Männeken Pis" verleiht, womit der oben geschilderte Kontrast nochmals verstärkt wird. Kleinwüchisigkeit und andere von den Menschen der Antike als "Missbildungen" empfundene Eigenschaften dienten einer "großbürgerlichen" Klientel als Rückversicherung ihres eigenen Wohlbefindens und Glücks. Zugleich sprach man den grotesken Darstellungen apotropäische Eigenschaften zu, insbesondere in Kombination mit überdimensionierten Phalloi, denen auch einzeln als Anhänger unheilabwehrende Kräfte zugeschrieben wurden und die durch zahlreiche Kleinfunde belegt sind. Schöne dunkelgrüne Patina mit minimalen Inkrustationen. Höhe 19 cm. Ein ausgesprochen interessantes und seltenes Belegstück antiker Mentalitätsgeschichte, das in dieser Qualität und vorzüglichen Erhaltung nur schwer zu finden ist.Provenienz: Süddeutsche Privatsammlung.
Zustand: I - Fragen zum Los?